Beitrag: Copyright Jürgen Möller September 2020

Unternehmensgeist und Unternehmensseele – die immaterielle Ebene im Business

Bedeutung und Veränderungsmöglichkeiten
im Rahmen von Coaching

Ein nahezu 100 Jahre altes Zitat des Flugzeugbauers Claude Dornier zeigt, wie bedeutungsvoll die geistige Ebene im Unternehmenskontext bewertet werden kann:

„Nicht das Kapital bestimmt den Wert eines Unternehmens, sondern der Geist, der in ihm herrscht. […] Den Hauptteil unserer Erfolge verdanke ich dem Umstand, dass ich […] eine große Anzahl hervorragender Mitarbeiter, die in unerschütterlicher Treue auch in schwerer Zeit unserem Werke ihr bestes gaben, zur Seite hatte.“

Claude Dornier * 14.05.1884 † 05.12.1969 (nur-Zitate.com).

Wenn man bedenkt, dass Claude Dornier ein „Visionär ohne Flugschein“ SWR (2019) war, der selbst nicht fliegen konnte, aber einen Konzern mit bis zu 23.000 Beschäftigten Jahrzehnte lang führte und Luftfahrt- und Technikgeschichte schrieb (Wikipedia), ist dies in zweierlei Hinsicht bedeutend. Erstens scheint schon Anfang des 20ten Jahrhunderts das Thema Unternehmensgeist für Visionäre eine große Bedeutung gehabt zu haben und zwar in besonderer Wertschätzung auch der geistigen Einstellung der Mitarbeiter und zum zweiten scheint die geistige Vorstellungskraft auch in produktionstechnischer Hinsicht Claude Dornier ausgezeichnet zu haben, wenn er seine Flugzeuge baute, ohne überhaupt fliegen zu können.

Theorieexkurs

Will man sich von wissenschaftlicher Seite dem Unternehmensgeist oder der Unternehmensseele nähern, so findet man fast gar keine Literatur zu diesem Themenkomplex. Die meisten Quellen betreffen praktizierende Berater oder Coaches bzw. stammen beispielsweise aus Veröffentlichungen von Wirtschaftsinstituten.

So wenig handfest die immaterielle Ebene in Form von Geist und Seele eines Unternehmens auch scheinen mag, sie wird von Theorie und Praxis als etwas Bedeutungsvolles beschrieben und erlebt. Ein „guter Geist“ scheint ein wichtiger Schlüssel für ein erfolgreiches Unternehmen zu sein. Dabei ergibt sich dieser „Spirit“ aus allem, was mit dem Unternehmen in Zusammenhang steht als Momentaufnahme, als Ist-Zustand. Spürbar wird er, angelehnt an die englische Bedeutung von Spirit, auf den Ebenen Stimmung, Atmosphäre, Gemütsart, Lebenshauch, Seele, Sinn, Einstellung, Haltung, Mut oder Schwung. Er ist somit nicht statisch oder determiniert, sondern immer ein wahrnehmbares, fühlbares Ergebnis von Wirkungssystemen.

Bei der Seele oder dem Geist eines Unternehmens handelt es sich im weitesten Sinne um eine Energieform, um das belebende und damit auch steuernde Element. Aber wie entsteht es und wie verursacht es Resonanzen? Dazu schreibt Krieg (2012): Physikalisch bestehe die Seele aus einem geistigen Feld, das dem Unternehmen seine Energie, seine Ausdehnung und seine Ausrichtung verleihe. Die Seele entstehe „energetisch gesehen aus der Überlagerung der geistigen Schwingungen, die sich rund um ein Unternehmen herum bündeln. Intern, wie extern.“ Die Seele sei also kein rein interner Effekt, und bilde sich nicht nur aus der geistigen Energie der im Unternehmen tätigen Menschen.

Die Seele des Unternehmens ist also nichts Statisches, nichts Vorgegebenes, nicht fix und damit unbeeinflussbar. Im Gegenteil: Sie ist der energetische oder geistige Ausdruck, das Resultat, aus allen Einzelschwingungen, die im Zusammenhang mit diesem Unternehmen stehen. Nach Bredemeyer (2015) entfaltet sich die Seele, „wenn Menschen einer lebendigen Interessengemeinschaft simultan zusammenarbeiten, wenn sie sich mit der Unterstützung von einigen wenigen Regeln inspirierender, also beseelender, genuiner, authentischer Kommunikation mit einem Thema beschäftigen.“ Dabei spiele die Art und die Größe der Gemeinschaft keine Rolle. Es kommt aber auf den Beitrag jedes Einzelnen an. Diese Mechanismen erschließen sich im Businesskontext nicht immer jedem Beteiligten: Je größer ein Unternehmen ist, desto wahrscheinlicher wird das Gefühl der Entpersönlichung des Einzelnen und schwindet damit sein Gefühl, für das große Ganze mit seinem Wirkungsbereich verantwortlich zu sein.

Der Unternehmensgeist – ein autopoietisches System

Um im Rahmen von Coaching Veränderungs- und Gestaltungsmöglichkeiten in diesem Themenkomplex zu entwickeln und anzuwenden, ist es wichtig, den Unternehmensgeist als ein soziales und damit autopoietisches System zu betrachten.

Nach Kneer (2000) sind autopoietische Systeme lebende Gebilde, die sich selbst herstellen und erhalten. Das geschieht, indem sie die Komponenten und Bestandteile, aus denen sie bestehen, selbst produzieren und herstellen, indem sie also durch ihr Operieren ihre eigene Organisation fortlaufend erzeugen. Nach Luhmann (2008) kommt ein soziales System zustande, wann immer ein autopoietischer Kommunikationszusammenhang entsteht und sich durch Einschränkung der geeigneten Kommunikation gegen eine Umwelt abgrenzt. Soziale Systeme bestehen demnach nicht aus Menschen, auch nicht aus Handlungen, sondern aus Kommunikationen. Kommunikation bildet also eine eigenständige Ordnungsebene und entsteht in dieser Betrachtung aus sich selbst heraus, allerdings nur in Abgrenzung gegen eine Umwelt. Das bedeutet für das System Unternehmensgeist, das es sich permanent durch emergente Kommunikationsprozesse selbst kreiert und sich dadurch von seiner Umwelt separiert. Dabei lassen sich die emergenten Eigenschaften des Systems nicht offensichtlich auf Eigenschaften der Elemente zurückführen, die diese isoliert aufweisen.

Folgen für die Gestaltung des Unternehmensgeistes

Will man im Rahmen von Coaching und Beratung Veränderungen in sozialen Systemen initiieren, muss man auf die Kommunikation innerhalb des Systems einwirken. Wie oben beschrieben, bestehen soziale Systeme einzig aus Kommunikationen, die selbstreferenziell sind. Nach Schrädler (1996) „handelt es sich auch bei Anpassungsänderungen an die Umwelt immer um Selbstanpassung.“ In wieweit eine Selbstveränderung selbstreferenzieller Systeme von außen provoziert werden kann, bleibt hier die entscheidende Frage. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass die Selbststeuerung des Systems jegliche Operationen an der System/Umwelt-Differenz ausrichtet. Für den externen Beobachter, also z.B. den Coach oder Berater ist dieser Prozess nicht einsehbar und entbehrt oftmals sogar der Rationalität, weil auch die Entscheidungsabläufe im System einen autopoietischen Zusammenhang aufweisen. Damit bietet das soziale System dem Coach oder Berater eine Komplexität, der nach Schrädler nur durch Komplexitätsproduktion begegnet werden kann. „Unzulässige Komplexitätsreduktion durch vorschnelle Trivialisierung“ sollte der Berater möglichst vermeiden.

Bei der Suche nach geeigneten Interventionen zur Veränderung von sozialen Systemen, die sich paradoxerweise von außen eben nicht verändern lassen, kommt nach Schrädler einerseits dem Begriff Intervention eine autopoietische Bedeutung zu, gleichzeitig sollte aber auch über die Autopoiesis des Beraters nachgedacht werden. Darüber hinaus kann die Suche nach neuralgischen Punkten im System hilfreich sein, damit das System überhaupt auf die Anstrengungen des Beraters reagiert. Die operationale Geschlossenheit des zu beratenden Systems gegenüber der Umwelt muss dem Berater bewusst sein. Jegliche Veränderung ist nicht direkt von externen Einflussfaktoren abhängig, sondern immer eine Selbstveränderung.

Schrädler fasst es daher folgendermaßen zusammen: „Für den Berater bedeutet dies Abschied nehmen von seiner Objektivität und einzusehen, daß er trotz seiner umfangreichen Erfahrung und seines Fachwissens nicht in der Lage ist, ein komplexes Problem objektiv zu beurteilen. Jede Empfehlung des Beraters und jede vorgenommene Intervention beruht auf seiner ganz individuellen Beobachtung, die nur eine von vielen möglichen darstellt“. Trotzdem ist es durchaus nützlich, dass der Berater oder Coach nicht in das soziale System hineinschauen oder direkt eingreifen kann, dass es zwischen dem Innen und dem Außen eine Grenze gibt, sowohl zwischen dem System und seiner Umwelt, als auch zwischen dem System und dem Berater. Gerade an dieser Grenze entsteht die Energie, die das System für seine Autopoiesis benötigt.

Oftmals besteht in der Praxis das Bestreben, den guten Geist im Unternehmen zu finden, zu fördern und/oder aufrecht zu erhalten. Dabei zeigt sich, dass einerseits der Ist-Zustand (noch) nicht einem gewünschten Ziel-Zustand entspricht und andererseits der Ist-Zustand sowohl im Inneren des Systems, als auch von außen Störungen und Gefahren ausgesetzt ist. Im Coachingprozess könnte geklärt werden, wer eigentlich im System den Ist-Zustand bestimmt und wer einen guten Unternehmensgeist schützen kann. In der Systemtheorie stellt sich jedoch nicht die Frage nach einem „gut“, sondern nach einem „passend“. Willke (1991) Es ist also hilfreicher zu fragen, was ein passender Unternehmensgeist ist. Dieser orientiert sich nicht am Inneren des Systems, sondern am Verhältnis zwischen System und Umwelt. Damit entsteht ein ganz anderer Blick auf den Unternehmensgeist. Er wird nämlich zu einem Grenzphänomen. Es klingt paradox, nicht auf die Elemente zu schauen, sondern auf die Grenze, auf das, was dazwischen passiert. Es könnte wichtiger sein, die Grenzen zu stärken, als das innere Wir-Gefühl zu fördern. Oder anders interpretiert: erst starke Grenzen führen zu einem passenden Wir-Gefühl.

Quellen

Bredemeyer, S.: Die Seele des Unternehmens berühren, 2015
https://www.nur-zitate.com/autor/Claude_Dornier
Kneer, G. u. A. Nassehi: Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. 4. Auflage, München 2000
Krieg, H.-J.: Spiritualität & Business: Die Seele eines Unternehmens. 2012
Luhmann, N.: Ökologische Kommunikation. 5. Auflage, Wiesbaden 2008
Schrädler, J.: Unternehmensberatung aus organisationtheoretischer Sicht. Wiesbaden 1996
SWR-Fernsehen: Geschichte & Entdeckungen, Claude Dornier, 2018
Wikipedia: Claude Dornier URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Claude_Dornier
WILLKE, H.: Systemtheorie: eine Einführung in die Grundprobleme der Theorie sozialer Systeme. Stuttgart 1991